Das heutige MessegelĂ€nde in Belgrad â so war es dem ReisefĂŒhrer zu entnehmen – wurde von Architekt Milorad PantoviÄ geplant und 1957 erstmals fĂŒr eine internationale Ausstellung genutzt. Besonders beeindruckte die Besucher damals die neue Messehalle 1, die bis heute Europas gröĂter Kuppelbau ist. Darum ist diese Kuppel auch 2015 nicht weniger imposant als vor 58 Jahren. Ein dickes Ding!
Imposant war aber auch das Treiben, das unter der Kuppel zu beobachten war: Die 60. Belgrader Buchmesse hatte ihre Tore vom vom 25. Oktober bis 1. November 2015 geöffnet, und die serbische Verlagswelt machte sich daran, BĂŒcher * BĂŒcher * BĂŒcher zu verkaufen. An den sieben Messetagen verkauft ein serbischer Verlag ungefĂ€hr so viel, wie ĂŒber den Buchladen in fĂŒnf Jahren! Darum ist auch die Messe in Belgrad, wie viele Buchmessen in Mittel- und Osteuropa, vor allem eines: Magnet fĂŒr das serbische Lesepublikum. Umso mehr zu entdecken gibt es fĂŒr auslĂ€ndische Messeneulinge, wenn sie sich auf die Suche nach serbischer Kinder- und Jugendliteratur begeben: Schnell hatte sich herausgestellt, dass sich viele der serbischen Verlage, die sich auf Kinder- und Jugendbuch konzentrieren, allein auf den inlĂ€ndischen Markt schauen und sich weder auf der Frankfurter noch der Bologneser Buchmesse prĂ€sentieren. So zeigte der kleine Odiseja-Verlag eine tolle internationale Produktion, die Andreas Steinhöfels âRico, Oskar und die Tieferschattenâ und Tove Janssons âMuminsâ genauso umfasste, wie die tschechischen âSockenfresserâ von Pavel Ć rut oder Jean-Claude Mourlevatâs âWinterspieleâ. Bei einer solchen hochwertigen Reihe war natĂŒrlich interessant, welche serbischen Kinderbuchtitel sich dazu gesellten. Und da tauchte ein Name immer wieder auf (und das nicht nur bei Odiseja): Jasminka PetroviÄ (*1960)! Mit ihren Kinder- und JugendbĂŒchern ist sie seit mehreren Jahren die Königin unter den serbischen Kinderbuchautoren und â wie sich in Belgrad zeigte â eine wunderbare und unterhaltsame GesprĂ€chspartnerin sowie Moderatorin. Jasminka PetroviÄs neuestes Buch, erschienen bei einem der wichtigsten Kinderbuchverlage Serbiens Kreativni Centar, wurde auf der Messe vorgestellt. âLeto kada sam nauÄila da letimâ (Der Sommer, in dem ich fliegen lernte) ist die Geschichte von Sofia, die den Sommer auf der kroatischen Adria-Insel Hvar verbringt. Hinter der vordergrĂŒndigen Adoleszenz-Geschichte setzt sich das Buch mit dem nach wie vor nicht leichten VerhĂ€ltnis von Serben und Kroaten auseinander.
Neben Jasminka PetroviÄ war der 1972 geborene Kinderbuchautor Dejan AleksiÄ ein angesagter Typ auf Messe, und zwar fĂŒr die vielen Kinder, die sich am Messedonnerstag ĂŒber seine Wortspielakrobatik und Anekdoten kaputt lachten und auch an vielen VerlagsstĂ€nden, die seine BĂŒcher â das neueste ist ein ungewöhnliches ABC â anboten. Eine Geschichte von Dejan AleksiÄ ist auch vertreten in der Anthologie âVidi Äudaâ (âWunder sehenâ), deren zweiter Teil pĂŒnktlich zur Messe erschienen ist (bei SluĆŸebni Glasnik). Dieses ungewöhnliche Projekt versammelt Geschichten ĂŒber âWunder-bareâ Erlebnisse aus der Kindheit, um die jeweils sieben namhafte serbische Kinderbuchautoren vom Verlag gebeten wurden.
Die serbische Kinderliteratur scheint vor allem auf ErzĂ€hlendes zu setzen, wie neben Kreativni centar oder Odiseja auch die Verlage Laguna, bookland und das sympathische Verlagshaus PÄelica mit ansprechend aussehenden KinderbĂŒchern aus dem Bereich der Fantastik (von z.B. UroĆĄ PetroviÄ) sowie des realistischen Kinderromans (von z.B. Igor Kolarov) zeigten. Unter der Belgrader Riesenkuppel gab es natĂŒrlich auch viele illustrierte BĂŒcher zu sehen. Aus der FĂŒlle von bunten BĂŒchlein und vielfach auch Heften wurde schnell deutlich, dass eine IllustrationsĂ€sthetik mit niedlichen Figuren und Charakteren dominiert, die vor allem das Kindchenschema im Betrachter bedienen möchte. Eine brandneue Ausgabe des gröĂten serbischen Kinderbuchklassikers Branko ÄopiÄ, illustriert von Marina MilanoviÄ, stach dazwischen hervor: In derâIzokrenuta priÄaâ (Die umgekrempelte Geschichte) wird nicht nur im Text alles auf Links gekrempelt und die Welt auf den Kopf gestellt, auch die Illustrationen verkehren alle gĂŒltigen Naturgesetze und zeigen eine tolle, absurde Welt, in man sich erstmal zurecht finden muss. Dieses Buch ebenso wie die witzig illustrierten Hefte von Boris KuzmanoviÄ sind bei Zavod za uÄebnike erschienen.
Besonders aufregend war es natĂŒrlich, einen kleinen Einblick in die ĂŒberaus aktive und ĂŒber Serbiens Grenzen hinaus durchaus bekannte Comic-Szene zu bekommen: Und die Verlage und Druckereien Darkwood, Besna kobila, Komiko oder auch der Ableger der Londoner KĂŒnstlerplattform Modesty Stripovi zeigten viel! Neben dem 2014 preisgekrönten dunklen, dystopischen âKorporativni pandemonijumâ (Korporation PandĂ€monium) von DebĂŒtant Aleksandar ZolotiÄ (*1987) gab es Boris StaniÄ (*1984) mit seiner Kindheitstrilogie in Comic- bzw. Graphic-Novel-Form zu entdecken: âRadosavâ ist ein auĂergewöhnliches Buchprojekt, in dem StaniÄ die Lebensgeschichte seines GroĂvaters zeichnet, die geprĂ€gt ist von den Kriegen und politischen Wirren des 20. Jahrhunderts. Nicht zu vergessen ist auch eine wunderschöne textlose RotkĂ€ppchen-Ausgabe (âCrvenkapaâ) von Vuk Palibrk (*1987). Palibrk hatte die 71 Illustrationen zu dem MĂ€rchen bereits 2012 als Kunstprojekt ausgestellt, erst 2014 wurde aus den schwarz-weiĂen und rotkĂ€ppchenroten Bildern ein Buch.
Viele dieser Entdeckungen und Bekanntschaften â mit BĂŒchern und mit Menschen â wĂ€ren allerdings gar nicht zustande gekommen ohne die unglaublich liebenswĂŒrdige, hilfsbereite und darĂŒber hinaus noch bestens vernetzte Kinderbuchbibliothekarin Daniela aus PoĆŸega. Eine bessere Lotsin durch das labyrinthische Treiben unter der Messekuppel konnte es kaum geben.